Was haben eigentlich meine Großeltern während des Nationalsozialismus getan? Diese Frage stellen sich viele Enkel*innen der Zeitzeug*innen des Nationalsozialismus im Laufe der Jahre. Doch die Informationen, die sie erhalten, sind meist spärlich oder lückenhaft, kaum mehr als Fragmente einer Erzählung. Mit dem Sterben der Zeitzeugengeneration bleiben von dieser Epoche in den Familien nicht mehr als ein paar Fotos aus dem Familienalbum und eben jene Erzählfragmente über den Alltag des „Russlandfeldzuges“ oder das beschwerliche Leben in zerbombten Städten. Diese meist mehr oder weniger harmlosen Anekdoten kontrastieren dabei scharf mit dem offiziellen Gedenken an die Opfer des NS und dem historischen Wissen über den Faschismus. In den allermeisten Familien bleibt der Eindruck, der Nationalsozialismus habe stets an einem anderen Ort und mit unbekannten Akteur*innen stattgefunden, man habe nichts tun können und versucht anständig zu bleiben. Dass dies angesichts der Massenbasis des Faschismus nur für einen kleinen Teil der Familienerzählungen zutreffen kann, mag Anlass sein, die eigene Familienerzählung kritisch zu hinterfragen.
Dieses Seminar soll die Gelegenheit geben, gemeinsam mit anderen die Erzählungen über den Nationalsozialismus in der eigenen Familie zu untersuchen, auf Widersprüche abzuklopfen, die eigenen Interessen darin sichtbar zu machen und ein kritisches Verhältnis zur eigenen Familienerzählung zu entwickeln. In einem zweiten Teil wollen wir mit Hilfe einer angeleiteten Archiv-recherche Daten und Fakten über die eigenen Großeltern ermitteln und mögliche Lücken in den Erzählungen herausarbeiten. Dabei orientieren wir uns an der Methode „Erinnerungsarbeit“ von Frigga Haug. Die Seminargruppe soll sich dabei im Sinne einer Forschungsgruppe gegenseitig unterstützen und einen Rahmen für die Auswertung der Untersuchung bieten. Der Verlauf der Recherche und die Auswirkungen eventueller Familiengespräche werden in einem dritten Seminarblock reflektiert.
Das Seminar richtet sich explizit an die Enkel*innen von Familien, die sich während des NS als Teil der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland verortet haben. So genau dieses Seminar auf die Belange dieser Zielgruppe zugeschnitten ist, so wenig wird es den Anforderungen von Menschen gerecht, die Angehörige von Überlebenden des NS sind oder deren Familien sich während des NS nicht in Deutschland verortet haben.
Block I:
25. bis 27. Oktober 2019 (Fr. 19-21:00 Uhr, Sa 10-18 Uhr, So 10-16 Uhr)
Block II:
07. und 08.12. 2019 (Sa 10-18 Uhr, So 10-16 Uhr)
Block III:
07.-09. Februar 2020 (Fr 19-21 Uhr, Sa 10-18 Uhr, So 10-16 Uhr)
Nach einem Auftakt am Freitagabend, sollen am ersten Wochenende vor allem die Mechanismen von Familienerzäh-lungen beleuchtet werden. Neben theoretischen Inputs steht dabei das Bearbeiten von eigenen Erzählfragmenten im Vordergrund, die häufig aus nicht mehr als einer groben Orts- und Tätigkeitsbeschreibung bestehen; „der Opa war irgendwo in Russland. Ich glaube die mussten viel marschieren, war wohl ein einfacher Soldat, ob der an Verbrechen beteiligt war, weiß ich nicht... ich glaub aber eher nicht.“ Die Methode und Hintergründe der von Prof. Frigga Haug entwickelten und erprobten „Erinnerungsarbeit“ bieten dafür den grundlegen-den Arbeitsansatz. Neben dem individuellen Verfassen von Geschichten, erfolgt die weitere kollektive Bearbeitung in der Seminargruppe. Neben den Erzählfragmenten selbst wird auch erörtert, wie diese Erzählungen in den Familien weiterge-geben werden (Erzählsituation, Stimmung, wer sagt was, wer sagt nichts...).
Am zweiten Wochenende findet eine Exkursion statt, bei der wir uns uns vor Ort mit dem Thema Zwangsarbeit, Tatorte und Täter*innengesellschaft auseinandersetzen.
Zudem steht am zweiten Block die Recherche im Vorder-grund. Einige Enkel*innen haben vielleicht bereits Dokumente und Unterlagen zusammengesammelt, mit Verwandten gesprochen und sich Aufzeichnungen gemacht. Doch im betriebsamen Alltag stellt die Auswahl des richtigen Archivs oder auch das Formulieren einer Anfrage jene Hürde dar, die dazu führt, dass sich letztlich nur wenige auf den Weg machen, den Erzählungen auf den Grund zu gehen und sie mit historischen Fakten abzuglei-chen. Im Seminar wird daher konkret der Frage nachgegan-gen, aus welchen Archiven welche Informationen zur Groß-elterngeneration gewonnen werden können, was aus den bereits bekannten Dokumenten geschlossen werden kann und welche Fachleute dabei hilfreich zur Seite stehen können.
An dritten Wochenende können die Teilnehmenden den bisherigen Verlauf der Recherche und die Auswirkungen eventueller Familiengespräche reflektieren.
Referenten:
Daniel K. Manwire (Jhg. 1971) Biologe und Sozialpädagoge. Beschäftigt sich seit 2005 mit dem Thema Familienerzählun-gen zum NS, auch in der eigenen Familie. 2008 die Diplomar-beit zum Thema: Von der Schwierigkeit im Hause des Henkers vom Strick zu sprechen, zum intergenerationellen Sprechen deutscher Familien. Seit 2017 bei der Beratungsstelle em-power von Arbeit und Leben in Hamburg beschäftigt. Er ist unter anderem - wie Rainer Piatkowski - freier Mitarbeiter des Bildungsbüro Hamburg .
Rainer Piatkowski (Jhg. 1970) Sozialpädagoge. Der Besuch eines Seminares mit dem Titel „Opa war kein Nazi“ war 2005 Ausgangspunkt für das Interesse an dem Thema Familiener-zählungen zum Nationalsozialismus. 2007 Diplomarbeit zum Thema: Verbrechen begegnen – Zum Umgang Sozialer Arbeit mit Erinnerungen an den Nationalsozialismus.
Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Bildungsbüro Hamburg statt - https://bildungsbuerohamburgblog.wordpress.com/
Übernachtung:
Alle Menschen, die außerhalb von Bielefeld leben und während der Wochenenden eine Übernachtungsmöglichkeit brauchen, können sich gerne melden, oder eine Bemerkung ins Kommentarfeld schreiben.
Bei entsprechend verfügbaren Kapazitäten bemühen wir uns, die gewünschten Angebote, Freizeiten und Jugendreisen auch Gästen mit Mobilitätseinschränkungen anzubieten. Wir bitten darum, bereits bei der Buchung genaue Angaben über Art und Umfang der Mobilitätseinschränkungen der betreffenden Teilnehmer*innen zu machen, damit wir prüfen können, ob die Buchung bestätigt werden kann.
ZahlungMit Vertragsabschluss wird eine Anzahlung von 20% des Teilnahmebeitrags fällig. Die Restzahlung ist 30 Tage vor Veranstaltungsbeginn zur Zahlung fällig. Bei Buchungen die kürzer als 30 Tage vor Veranstaltungsbeginn ist der gesamte Teilnahmebeitrag sofort zahlungsfällig. Sie haben die Möglichkeit vor Veranstaltungsbeginn gegen Zahlung einer angemessenen Entschädigung oder gegebenenfalls einer vom Reiseveranstalter verlangten Entschädigungspauschale jederzeit vom Vertrag zurückzutreten. Wir verweisen insoweit auf Ziffer 4 unserer Reisebedingungen.
Für deutsche Staatsbürger*innen ist bei Auslandsreisen ein gültiger Kinderausweis, Personalausweis oder Reisepass für die Dauer der Veranstaltung notwendig. Nicht deutsche Staatsbürger*innen wenden sich zur Beratung bitte an die jeweilige Geschäftsstelle.
ReiserücktrittsversicherungWir empfehlen den Abschluss einer Reiserücktrittskostenversicherung oder einer Versicherung zur Deckung der Kosten einer Unterstützung einschließlich einer Rückbeförderung bei Unfall, Krankheit oder Tod. Ein Abschluss ist über folgenden Link möglich.
MindestteilnehmerInnenzahl und GruppengrößeDiese Reise ist für eine Gruppengröße von 8 bis 16 Personen konzipiert. Sie wird unter Vorbehalt einer Mindestteilnehmer*innenzahl von 8 angeboten. Bei nichterreichen bis spätestens 30 Tage vor Reiseantritt ist der Veranstalter berechtigt vom Reisevertrag zurückzutreten. Er wird die Absage der Reise ggf. Unverzüglich erklären.